Wer rastet, der rostet.
„Ich arbeite an meiner persönlichen Weiterentwicklung.“ Und wie? „Ach, ich beschäftige mich jetzt viel mit Spiritualität und mache da so einen Kurs und lese viele Bücher und höre Podcasts und meditiere und fange wahrscheinlich an mit Yoga und überlege, eine Coaching Ausbildung zu machen.“ Original ich vor einem Jahr. Wo ist das Problem? Nun, es gibt keins. Zumindest keins, das ich rückblickend hätte vermeiden wollen. Überhaupt erstmal anzufangen, mich mit meiner persönlichen Weiterentwicklung zu beschäftigen, war ja schon mal ein wichtiger erster Schritt. Und es gab ja auch viele Angebote, die mich dabei unterstützten. Also probierte ich erstmal relativ ungefiltert einiges aus, wovon ich dachte „das macht man halt so“. Soweit, so gut. Verschiedene Optionen auszutesten und damit den Entwicklungsprozess anzustoßen, ist ja nicht verkehrt. Was ich dabei jedoch völlig außer Acht ließ, waren zwei Fragen: Warum möchte ich mich persönlich weiterentwickeln? Und wohin überhaupt?
Highway to ...
Für die Frage nach dem „Warum“ gibt es wunderbare Vorlagen aus sämtlichen Quellen, die sich mit dem Thema „Persönlichkeitsentwicklung“ beschäftigen. Im Kern scheint es vor allem darum zu gehen, das eigene Potenzial zu entdecken und nutzen zu können. Klingt gut, bin dabei. Natürlich möchte ich gerne mein volles Potenzial nutzen. Das wäre ja ansonsten, als hätte ich ein Auto mit 300 PS und würde ständig nur 30 km/h fahren, weil ein falscher Tacho eingebaut wurde, laut dem 30 km/h die mögliche Maximalgeschwindigkeit ist. Macht grundsätzlich also total Sinn, mal unter die Haube zu schauen, was das Ding so auf dem Kasten hat. Dann weiß ich zumindest mal, welche Leistungsfähigkeit mir zu Verfügung steht. Aber wofür brauche ich die überhaupt? Auf der Autobahn kann ich die 300 PS doch sowieso nicht wirklich ausfahren. Außerdem bin ich auch kein Fan davon, die ganze Zeit entweder die anderen Autos überholen zu müssen, oder aber selbst ständig überholt zu werden. Aber wer sagt denn überhaupt, dass mein Fahrzeug für die Autobahn gemacht ist? Was ist, wenn ich eigentlich einen Geländewagen fahre? Wenn ich die 300 PS nicht brauche, um auf von anderen errichteten, total überfüllten Autobahnen Gas zu geben, sondern um mir meinen eigenen Weg durch die wilde, aufregende Landschaft zu bahnen? Doch wenn ich nicht weiß, dass mein „Auto“ dazu überhaupt in der Lage ist, werde ich es wohl nie wagen, die viel befahrenen Straßen zu verlassen und die wundervollen Schätze zu entdecken, die das Leben für mich bereithält. Welche Schätze sind es dir wert, dafür die bequeme, eingefahrene Straße zu verlassen? Diese Schätze – deine Träume, Ziele und Wünsche – sind dein „Warum“.
… ja, wohin denn jetzt eigentlich?
Um diese Frage zu beantworten, finde ich erstmal wichtig, sich bewusst zu machen, dass es unvermeidbar ist, sich zu entwickeln. Da wir Tag für Tag irgendwelche Eindrücke sammeln, Menschen begegnen und Erfahrungen machen, entwickeln wir uns meiner Meinung nach automatisch permanent weiter. Wobei „weiter“ in dem Fall zunächst mal lediglich bedeutet, dass kein Stillstand herrscht. Selbst wenn wir uns einen Tag lang im Bett verkriechen und komplett abschotten würden, wäre das eine Erfahrung. Der springende Punkt ist an der Stelle daher aus meiner Sicht, dass es, wenn wir davon sprechen, dass wir uns persönlich weiterentwickeln wollen, nicht darum geht, Stillstand in unserer persönlichen Entwicklung zu vermeiden. Denn den gibt es meiner Ansicht nach nicht. Vielmehr geht es darum, die persönliche Weiterentwicklung bewusst zu steuern. Denn sich einfach „vor sich hin zu entwickeln“ kann ja auch bedeuten, sich permanent im Kreis zu drehen. Dann entwickeln wir uns zwar weiter, kommen aber im Ergebnis nicht wirklich vom Fleck. Oder wir bewegen uns völlig wirr in der Gegend herum. Doch auch damit kommen wir den „Schätzen“, also der Verwirklichung unserer Ziele und Träume, kaum näher. Ich würde daher gerne den Begriff „Persönlichkeitsentwicklung“, der mittlerweile schon fast als Modewort bezeichnet werden kann, ersetzen bzw. ergänzen durch „zielgerichtete und bewusste Persönlichkeitsentwicklung“. Denn nur, wenn wir unsere Ziele kennen, wissen wir, in welche Richtung wir uns entwickeln wollen und können dementsprechend den Kompass ausrichten. Warum jetzt Kompass und nicht das Navi? Nicht vergessen: Wir sind im freien Gelände unterwegs. Hier gibt es zwar ein paar unbefestigte Straßen und Orientierungspunkte, doch es liegt an uns, die für uns passende Route selbst zu erschaffen.
Was quatscht die jetzt die ganze Zeit von Autos?
Ganz ehrlich: Ich hab mit Autos überhaupt nichts am Hut. Ich weiß noch nicht einmal, wieviel PS ein guter Geländewagen üblicherweise so besitzt. Der Punkt ist, dass zielgerichtete und bewusste Persönlichkeitsentwicklung aus meiner Sicht so individuell ist, wie unsere Persönlichkeit an sich. Dementsprechend finde ich es super, dass es inzwischen eine riesige Bandbreite an Angeboten gibt, die wir jeweils austesten und nutzen können. Wenn du weißt, was die Ziele deiner Entwicklung sind und dementsprechend, welche Richtung du einschlagen willst, fällt es viel leichter, die geeigneten Tools für dich zu identifizieren. Natürlich hängen diese auch nicht unwesentlich von deinen persönlichen Interessen und Vorlieben ab. Ich gebe dir mal ein persönliches Beispiel von mir. Ich habe schon länger davon geträumt, einen eigenen Onlineblog zu erstellen. Doch der Berg an Aufgaben, die in dem Kontext zu tun waren und mit denen ich mich nicht auskannte, schien unbezwingbar. So unbezwingbar, dass ich mich nicht traute, anzufangen. „Das schaffe ich eh nicht, ich weiß doch gar nicht, wie das geht“. Der Showstopper war mein mangelndes Selbstvertrauen. Somit wusste ich aber auch: Wenn ich meinem Traum, einen eigenen Onlineblog zu starten, näher kommen möchte, muss ich an meinem Selbstvertrauen arbeiten. Wie machte ich das? Ich suchte mir eine Challenge, vor der ich ebenfalls einen riesengroßen Respekt hatte, die mir aber nicht ganz so wichtig war, wie mein Onlineblog. Das nahm den Druck raus. Die Herausforderung, von der ich spreche, war meine Teilnahme am Mammutmarsch (100 km zu Fuß in 24 Stunden). Tatsächlich meisterte ich diese Herausforderung und bemerkte dabei, dass für mich sportliche Ziele ein wunderbarer Weg sind, um mein Selbstvertrauen zu stärken. Das bedeutet nicht, dass das für jeden so funktionieren muss. Die einen meditieren, die anderen nehmen an Seminaren teil, lesen Bücher oder was auch immer. Wenn du dein Entwicklungsziel (z. B. mehr Selbstvertrauen) und dein „Warum“ (z. B. ein eigener Onlineblog) kennst, wirst du schnell feststellen, welche Tools für dich funktionieren und welche weniger.
Zwei Schritte vor, einen zurück.
Doch was, wenn du hoch motiviert, dein Ziel fest im Blick, deinen Weg antrittst und feststellst, dass dein Fahrzeug so voll beladen ist mit Ballast, dass du fast jeden kleinen Hügel, den du mit Mühe und Not schaffst zu erklimmen, rückwärts wieder herunterrollst? Zunächst kann das super frustrierend sein. Umso wichtiger ist es, dass du dir den Ballast genauer anschaust. Und dann versuchst, dich von dem zu trennen, was dich unnötig ausbremst. Leichter gesagt als getan. Denn natürlich sprechen wir hier nicht einfach von ein bisschen Sperrmüll, den du sowieso entsorgen wolltest. Hier geht es um emotionalen und mentalen Ballast. Und um den loszuwerden, braucht es schon etwas mehr als einfach nur den nächsten Wertstoffhof. Es geht hier um Erfahrungen aus der Vergangenheit, die dein Selbstbild und damit deine Persönlichkeit geprägt haben und dir nun erschweren, dich in die Richtung zu entwickeln, die du dir wünscht. Wie gerne würden wir manche Eigenschaften von uns „auf Werkszustand zurücksetzen“. Einfach die negativen Erfahrungen löschen, deren Auswirkungen uns nun einschränken. Eine Persönlichkeits-rück-entwicklung sozusagen. Tja, solange wir keinen Zeitumkehrer wie Hermine in „Harry Potter“ haben, lösen wir das eben mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln. Je nachdem, worum es genau geht, kann hier zum Beispiel ein ausgebildeter Coach unterstützen. Denn häufig sitzt der Ballast hier so fest angeschnallt auf unserem Rücksitz und weigert sich auszusteigen, dass externe Unterstützung hilfreich sein kann. Und wenn der Ballast dann endlich aussteigt, bedanken wir uns bei ihm, dass er uns während der bisherigen Fahrt so gut unterhalten hat und geben dann richtig Gas.
Deine persönliche Persönlichkeitsentwicklung.
So, jetzt nochmal kurz zusammengefasst, worum es mir hier geht. Ich finde es richtig und wichtig, sich mit der Entwicklung der eigenen Persönlichkeit zu beschäftigen. Jedoch ist Persönlichkeitsentwicklung aus meiner Sicht kein Selbstzweck, auch wenn es teilweise den Anschein hat, als wäre die Persönlichkeitsentwicklung an sich das Ziel. Vielleicht ist das irgendwie der Versuch unserer Generation, dem klassischen Karrieredenken, das uns bis ins junge Erwachsenenalter begleitet hat, ein Schnippchen zu schlagen und uns selbst und der Welt zu beweisen: Wir haben unsere eigene Definition von Erfolg! Wir setzen unsere eigenen Prioritären und finden unsere Erfüllung in uns selbst anstatt in irgendwelchen vorgefertigten Lebenskonzepten, die von der vorherigen Generation für uns erdacht wurden! Ich finde, wir sollten trotz allem darauf achten, uns nicht in einem Strudel der Persönlichkeitsentwicklung zu verheddern. Denn sich persönlich zu entwickeln um der persönlichen Weiterentwicklung Willen, scheint mir nicht sonderlich zielführend zu sein. Wir alle haben unterschiedliche Persönlichkeiten, unterschiedliche Ziele und Herausforderungen. Und nur, wenn wir uns bewusst machen, warum und wohin wir uns jeweils persönlich entwickeln wollen, erfüllt die Persönlichkeitsentwicklung meiner Ansicht nach den Sinn, den wir uns doch eigentlich davon versprechen.
In diesem (Un)sinne: HAPPY DEVELOPING UND GROWTACK YOUR LIFE!
Deine Lydia